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Ersatzneubau Zähringerstrasse    CH-Bern   2021   Planerwahlverfahren

Quartier und Bestand
Mit dem vorliegenden Projekt kommt ein Prozess der Verfeinerung und Verdichtung über drei Generationen von Bauten zum Abschluss. Die heute unfertig und provisorisch anmutende Situation wird zu einem Ort umgedeutet, der sich mit seiner Ausstrahlung und Ruhe umstandslos ins Quartier einfügt. Auch hinsichtlich des öffentlichen Raumes wird das Gebäude wie ein Schlussstein in die Umgebung eingepasst. Das hier vorgelegte Projekt verdankt der kritischen Sichtung des Bestandesbaus neue Lösungsansätze und wesentliche Festlegungen. Die Tiefparterrelage wird behoben und durch einen gepflegten Anschluss an den öffentlichen Raum ersetzt. Auf die bestehenden Treppenhäuser reagiert das Projekt bewusst mit einem einzelnen, flächensparenden Treppenhaus. Mit dem zentralen Hauseingang wird die Adresse geklärt. Der Neubau besitzt mit einer lichten Höhe von 2.6 m durchgehend grosszügige, atmende Räume. Gegenüber der trotz Publikumsnutzung nicht besonders einladenden Anmutung des Bestandesbaus will das Projekt freundliche Ausstrahlung, Wohnlichkeit und urbanes Lebensgefühl stiften – oder anders gesagt: ein typisches Haus des Länggassquartiers werden.

Städtebauliche Mehrfachlesbarkeit
Das neue Haus steht als Kopf an der nordöstlichen Schmalseite eines lang gezogenen Gevierts. Gleichzeitig sucht es den Anschluss an die Nachbarbauten in der südwestseitigen Bebauung der Zähringerstrasse: Statt einer Lücke vermittelt neu ein Vorplatz zwischen diesen. Aufgrund der Abstandsverhältnisse und der hieraus resultierenden Dimensionen hat das Haus freilich auch Charakterzüge eines nach allen vier Seiten ausstrahlenden Solitärs. Zudem besitzt es eine ausgeprägte Ausrichtung vom urbanen Strassenraum zur Gartenseite hin.

Nutzung und Schichtung
Zentral, wiewohl nicht an einer ausgeprägten Passantenlage gelegen, richtet sich das Haus mit vier Geschäfts-, Büro- bzw. Praxiseinheiten sowie zwei Maisonette-Wohnateliers im Sockelbereich an Dienstleistungs- und Gewerbebetriebe. Der teilweise Gartenanstoss steigert die Attraktivität und Nutzbarkeit der EG-Flächen. Die innen liegenden Einheiten im 1. OG können auch als Wohnungen genutzt werden und ergänzen damit potentiell das ohnehin vielfältige Wohnangebot. Darüber sind drei Normgeschosse mit je vier Wohnungen gestapelt. Den oberen Gebäudeabschluss bilden zwei geräumige Attikawohnungen mit grosszügigen privaten Dachterrassen.

Laubengang und Typologie
Mit seiner mehrspännigen Erschliessung und Zellenstruktur bringt das Projekt Ökonomie mit Versatilität zur Deckung. Zentrales Element bilden die am Treppenkern angegliederten Laubengänge in den Hauptgeschossen. Bei sechs Einheiten wird die Nachbarwohnung über den vorgelagerten Laubengang erschlossen. Besonders in der warmen Jahreszeit expandieren die Wohnküchen in ihrer Gemeinschafts- und Begegnungsfunktion auf die Laubengänge, wo im Schutz der Baumkronen eine belebte Fassade entsteht. Die innen liegenden Wohnungen und Gewerberäume sind durchgesteckt, also nach zwei Himmelsrichtungen ausgerichtet. Alle anderen Wohnungen sind dreiseitig ausgerichtet. Alle Wohnungen besitzen grosszügige Balkone bzw. Terrassen. Von den Wohnküchen aus führen taillierte Durchgänge in die Wohnbereiche. Das Grundrissschema der Hauptgeschosse beruht auf je vier Einheiten von 3 1/2 Zimmern. Variationsmöglichkeiten bieten einerseits die gartenseitigen Schaltzimmer. Andererseits können die strassenseitigen Erkerzimmer als Jokerzimmer, Studios oder Generationenzimmer gesondert genutzt werden.

Frei- und Grünraum
Inmitten eines vergleichsweise harten städtischen Umfeldes bildet das Haus einen organischen, grünen Archipel. Der sonnenexponierten Südostfassade ist eine tiefe Balkonschicht vorgelagert. Als Rankgerüst ausgelegt, wird sie in kurzer Zeit zum grünen Körper aus wechselgrünen Kletterpflanzen heranwachsen. Deren Wurzeln finden im Erdreich grosszügig Halt, ihr Laub beschattet und kühlt im Sommer Haus und Quartier. Vögel und Insekten, welche hier ihren Lebensraum finden, tragen zur Lebensfreude und Biodiversität bei. Im Winter findet das Licht durch das laubfreie Geäst den Weg in die Wohnungen. Die dem Haus vorgelagerte Rasenfläche ist mit der Tiefgarage unterfangen. Trotz gestalterischer Restriktionen wird sie mit einer Pergola, mit Spielgeräten und einem Fahrradunterstand aktiviert. Dieser Aussenraum dient somit der Freizeitgestaltung und dem sozialen Austausch. Er eignet sich als Aufenthaltsort für Kinder und steht grundsätzlich auch den Nachbarn offen. Vom Treppenhaus aus wird er durch das Kellergeschoss und einen Gartenausgang erschlossen. Auch an der Eingangsseite beruht die Qualität der Liegenschaft massgeblich auf Grünraumelementen und sozialen Aneignungs- flächen: Die Baumreihe kühlt und schützt, gleichzeitig herrschen unter den aufgeasteten Bäumen gute Sicht- verhältnisse, welche der Freundlichkeit und Wahrnehmbarkeit der Liegenschaft und dem Sicherheitsempfinden der BewohnerInnen entgegenkommen. Der Vorbereich kann von den MieterInnen aktiv mitgestaltet werden – die Möglichkeiten reichen von halbprivaten Aufenthaltsfläche bis hin zum Gästeparkplatz für Autos und Fahrräder. Velos und Kinderwagen können von den BewohnerInnen nach Bedarf im über die Tiefgaragenrampe und den Lift erschlossenen Veloraum oder direkt auf den Wohngeschossen abgestellt werden.

Fassade und Konstruktion
Die Vollholzelemente der Primärkonstruktion aus holzverdübeltem, kreuzweise geschichtetem Brettsperrholz binden grosse Mengen an CO2 und können aus Holz aus den regionalen Wäldern der Burgergemeinde gefertigt werden. Die Systembauweise ermöglicht eine kurze Rohbauphase ohne Austrocknungszeiten. Die diffusionsoffenen Wände und die grosse Speichermasse der Holzelemente garantieren ein behagliches und ausgeglichenes Raumklima. Bei der Produktion der Elemente kann im Sinne von «zero waste» Holz jeder Qualität verarbeitet werden. Am Ende seines Lebenszyklus dient das unbehandelte Holz als Energielieferant.  Ausgesteift wird die Struktur durch das Treppenhaus und die Nasszellen in Beton-Massivbauweise. Die Fassaden sind als Lochfassaden mit Erkern gegliedert. Die abgerundeten Gebäudeecken und die mit diesen zusammenspielenden Balkonbrüstungen betonen die Solitärwirkung des Hauses, welches als Stadtvilla, als "Palazzina" im Quartier auch einen zeitgenössischen Akzent setzt. Die hinterlüfteten Fassaden werden mit gewelltem grünem Eternit bekleidet, welcher den Bogen zwischen der spezifischen Formensprache des Hauses und dem auch an der Zähringerstrasse vielfach anzutreffenden Berner Sandstein spannt.


Baumanagement: SAJ Architekten AG, Bern
Architekturhistoriker: Christoph Schläppi, Bern
Bauingenieur: Schnetzer Puskas Ingenieure AG, Bern
Bauphysik: Weber Energie und Bauphysik AG, Bern

Bauherr: Burgergemeinde Bern
Fläche: 2'540m2 GF