Gesamtentwicklung PZM 2027 CH-Münsingen 2019 Projektwettbewerb
ANALYSE
Das PZM gehört zu den besterhaltenen Beispielen einer Anstaltstypologie, welche an der Wende zum 20. Jahrhundert in Europa verbreitet war. Dies betrifft sowohl die städtebauliche Anlage wie auch die Bauten. Im Unterschied zu vergleichbaren Anlagen der beginnenden Moderne ist die Klinik von Münsingen als freistehende Anlage ins flache Schwemmland des Aaretales gebettet. Die Gesamterscheinung lebt heute nicht nur von den Bauten, sondern auch von den wertvollen Baumbeständen, Alleen, Parks und Gärten. Trotz späterer Interventionen bildet die Klinik nach wie vor eine unverfälschte, denkmalhafte Gesamtheit, geprägt von den Bauten mit ihrer burgartig geschlossenen Volumetrie, der Materialität der Backsteinfassaden und Dachbedeckungen, klaren Trauflinien, Gliederungen mittels Pavillons, sowie von den wertvollen Aussenräumen.
Diese Einheit ist an einigen Stellen durch bauliche Interventionen gestört. Deren Auswirkungen machen sich nicht nur auf der ästhetischen oder funktionalen Ebene bemerkbar, sondern schwächen auch die Qualität der städtebaulichen Grundfigur und die Klarheit der räumlichen Zuordnungen. Die ursprüngliche Anlage überzeugt durch ihre rationale und funktionale Konzeption, ihre langlebige Konstruktion und rigide Wirtschaftlichkeit. Ihre Anpassung an geänderte Normen und neue betriebliche Bedürfnisse bedeutet eine besondere Herausforderung, vor allem im Bereich der Zugänge und Vertikalerschliessungen.
Im Hinblick auf die Sicherstellung einer zielgerichteten langfristigen Entwicklungsstrategie, in welcher Nutzungsflexibilität, Aufwärtskompatibilität und Weiterentwicklungsfähigkeit anzustreben sind, greifen wir mit unserem Beitrag auf die wesentlichen räumlichen Qualitäten der Anlage zurück. Wir schlagen eine längerfristig etappierbare Ausbaustrategie vor und präsentieren neue Ansätze, mit denen die Bauten an heutige Bedürfnisse angepasst werden können. Die Anlage des PZM soll als Kulturgut unverfälscht an kommende Generationen weiter gegeben werden.
Das laufende Verfahren stellt zu Recht die Häuser 25 und 45 ins Zentrum. Diese sind seit dem Bau zweimal mit einer unterschiedlichen Logik erweitert worden. Damit wurden beide Male temporäre Bedürfnisse gedeckt, jedoch wurde auch die Möglichkeit einer langfristigen Weiterentwicklung aus den Augen verloren. Um die Situation zu deblockieren, schlagen wir vor, die Hausammann-Anbauten, trotz ihrer Qualitäten, aufzugeben. Unter gewissen Voraussetzungen wäre ihr Erhalt denkbar – diese Frage ist in einer weiteren Bearbeitungstiefe nochmals zu prüfen. Stattdessen werden die Häuser 25 und 45 als strukturbildende Elemente im Sinn der Erweiterungen des frühen 20. Jahrhunderts ergänzt und aufgewertet.
Die bestehende Anlage des PZM formuliert mit ihrer massiven Erscheinung und Konstruktion längst überzeitlich gültige bauliche Aussagen, wie nachhaltiges Bauen funktioniert und wie konstruktitiv auf die Herausforderungen des Klimawandels reagiert werden kann. Diese Qualität geht weit über die Abpufferung physikalischer Temperaturextreme durch das Speicherverhalten der massiven Konstruktionen hinaus. Die bestehende Bausubstanz lebt auch vor, wie mit massiver Konstruktion und Erscheinung Sicherheit, Behaglichkeit, letztlich Corporate Identity geschaffen wird, wie starke, dauerhafte Strukturen der Identität und Aneignung zugute kommen.
LEITIDEE
Die vorgeschlagenen Neubauten orientieren sich nicht nur konstruktiv, sondern auch bezüglich Städtebau und Ausdruck stark an der Modernität des hundertjährigen Denkmalbestandes. Insofern kann sich eine neue, positive Sichtweise auf die bestehende Anlage auch entstigmatisierend auf die Wahrnehmung der Institution auswirken.
Damit ist gesagt, dass das neue Ganze sich an der Qualität des Bestandes ausrichten soll. Mittels punktueller Interventionen werden die kasernenhaft anmutenden Zugänge modernisiert. Die intuitive Verständlichkeit und die Klarheit der Bestandesbauten soll als Prinzip auch auf die Neubauten übertragen werden. Einfache, repetitive Strukturen bilden nutzungsflexible Grundrisse. Der potentiellen institutionellen Autorität der Bauten wird mit Massstäblichkeit und Ausstattung begegnet.
Dadurch soll die intuitiv verständliche Nutzbarkeit und der Gebrauchswert der Bauten weiter geführt werden. Die rational und klar organisierte Grundstruktur soll mit Nischen und Rückzugsmöglichkeiten angereichert werden – auch in den Aussenräumen.
Die bestehende Anlage beruht auf einem kohärenten städtebaulichen System von Achsen und Räumen. Diese gliedern die Gesamtanlage symmetrisch und hierarchisch. Der öffentliche Zugang von der Hunzigenstrasse her führt durchs Mauseloch in den grosszügigen Hofraum, welcher gleichzeitig als zentraler öffentlicher Bereich und Begegnungsraum der Anlage dient. Rings um die hufeisenförmig angelegte Gesamtanlage liegt ein privaterer, parkartiger Grüngürtel, zu welchem prachtvolle Baumbestände und die bestehenden Gärten der Häuser 25 und 45 gehören. Diese Logik einer raumbildenden und Geborgenheit schaffenden, gleichzeitig offen, freundlich und gastlich wirkenden öffentlichen Mitte soll beibehalten und gestärkt werden.
Im Bereich der heute räumlich unpräzise gefassten, kaum definierten Querverbindung wird eine neue Achse mit öffentlichem Anspruch angelegt. Diese bindet nicht nur die geplanten Erweiterungsbereiche, sondern auch die niedrigen Hofgevierte am Nordwestende der Anlage in das übergeordnete räumliche System ein.
Dabei wird dem Ensemblegedanken und der Einbettung in die Typologie der historischen Anlage besondere Beachtung geschenkt. Die Aufreihung der Bestandesbauten wird mit Neubauten fortgesetzt, welche zwei neue seitliche Gartenhöfe fassen. Die Neubauten orientieren sich an der Materialität und Logik der Bestandesbauten, deren Ausdruck auf unaufgeregten Gliederungen, Schichtungen und Rasterungen beruht.
Baumanagement: SAJ Architekten AG, Bern
Landschaftsarchitektur: Luzius Saurer, Hinterkappelen
Architekturhistoriker: Christoph Schläppi, Bern
Bauherr: PZM Psychiatriezentrum Münsingen AG
Fläche: 1'760 m2 GF